Die Schätze Des Heiligen

Die blinkenden Sterne wachten noch über das große Feld am Wegesrand, in dass sich der frühe Spätsommerwind warf, und die reifen Ähren wie eine unruhige See treiben ließ. Wie Rauch zog die kühle Luft die Spelze mit sich und trieb größere Teile rauschend um die Stützpfeiler des Unterstalls, in dem Bordje die Schweine zu füttern hatte. Seine winzige Öllampe reichte kaum aus, um den Futtertrog zu beleuchten, und so goss er den Eimer mit den Küchenabfällen, gemischt mit ein wenig, Heu, Getreide und Wasser in die Richtung, die er für die beste hielt. Er erinnerte sich noch zu gut an seinen ersten Jahren, wo er den Trog noch mit den Händen suchen musste. Seit er fünf Jahre alt war, muss er auf dem Hof seiner Eltern mit anpacken. Als seine Mutter damals sein Schwesterlein zur Welt brachte übernahm er vorerst nur ihre , später eigene. Nun erwartete seine Mutter ihr drittes Kind. Und wieder würde sie für drei Monate weniger Aufgaben zu erfüllen haben. Jirlae war nun ebenfalls fast fünf und musste ihrer Mutter bereits bei der Hausarbeit zur Seite stehen.
Es war die letzte Woche im achten Monat des Kalenderjahres. Für die Familie bedeutete dies, alles was sie nicht benötigten zu verkaufen, gerade soviel, dass sie selbst nicht hungern musste. Bordjes Vater spannte daher gerade den Bullen vor den Karren, der bereits mit den wenigen Erzeugnissen des Hofes beladen war, vorrangig Schweinefleisch. Einmal die Woche nahm der Bauer den Weg in die Stadt auf sich. Das Geld, dass er einnahm wurde vom König, dem Besitzer des Landes, noch am selben Tag wieder eingezogen. Steuern, so nannten seine Eltern dies. Steuern für Haus und Hof, für Tierhaltung, Angestelltensteuer, Produktionssteuer, Gewinnsteuer, Marktstandsteuer, hatte sein Vater ihm eindringlich erklärt.

Bordje war zwar vertraut mit der Führung eines Hofes, doch noch immer verstand er nicht, wieso der Erlös ihrer Arbeit am jeden Monatsende beinahe genau für diese merkwürdigen Steuern reichten. Egal ob sein Vater viel oder wenig Geld verdient hatte, nur wenige Münzen blieben für die Familie, und dieses Geld wurden dann dringend für wichtige Dinge im und am Hof benötigt.

Bordje stellte den Futtereimer zurück an die Scheune und machte sich bereit, die beiden Kühe zu melken. Die Sonne hinter dem Haus kündigte gerade ihre Ankunft an. Wie in einem wunderschönen Gemälde warf sie ihre violetten Strahlend gegen die Wolken, über die Wiesen und Wälder. Und wie jeden Morgen, wenn er die Kühe molk, stand die Scheune im Schatten des kleinen Hauses mit dem hohen Schornstein. Der dichte Rauch daraus kündigte schon das baldige Frühstück an, er, sowie sein Magen freute sich auf das Essen. Doch erst die Tiere, dann der Mensch, ein Grundsatz auf dem Hof. Er stirch der Kuh über den Bauch, nachdem sie ihre Milch gegeben hatte.
„Bordje, komm, lass uns essen.“, rief sein Vater ihm zu, stellte dem Bullen vor dem Karren noch einen Eimer Wasser und ein Bündel grünes Gras hin. Er strich dem Tier liebevoll über den Rücken. Mit der anderen Hand lud er seinen ältesten in das Haus ein.
Das Frühstück war üppig. Die vierköpfige Familie musste selbst im Winter nicht hungern. Sie lachten, aßen und bereiteten sich auf den neuen Tag vor. Bordje fragte seine Vater nach einem neuen Hemd, und dieser versprach, die Augen danach offen zu halten. Auch seine Mutter sah, wie der Junge fast schon über Nacht wuchs. „Spare das Geld, Jerome, ich werde unserer Jirlae wohl demnächst das Nähen lehren.“
Das kleine Mädchen lachte: „Sehr gern, Mutter.“
„Kannst du dann auch ein Muster? Wie Kuhflecken?“, fragte Bordje seine Schwester, die die Frage nickend bestätigte.
Wieder lachten alle. Die Sonne warf ihr helles Licht, seltsam anmutend durch das vergilbte Fensterglas der Küche direkt auf den Tisch: „Oh, ich muss los, die Sonne lacht schon breit.“, rief Jerome aus und verließ seine Familie, indem er den Tisch umrundete und jedem einen Kuss auf den Kopf gab. Bei seiner Frau blieb er einen Moment länger stehen: „Bis heute Abend, Darina, mein Sonnenschein.“ Sie lächelte und sah ihren Gatten nach. Noch einmal die Hand zum Gruß erhoben verließ dieser die kleine Hütte, kletterte auf den Karren und spornte den Bullen im Gespann mit einem schütteln der Zügel zum gehen.
„Bordje, du musst heute das Heu wenden, es hat heute Nacht ein wenig geregnet.“, wies seine Mutter ihn an und räumte bereits den Tisch ab, als ihr blick auf einen mit Hanffaser verbundenen Topf fiel. „Oh nein, euer Vater hat seinen Mittagstopf vergessen.“ Sie legte ihre Hand vor dem Mund und überlegte einen Augenblick fieberhaft. Da stand Bordje ohne weiteres Nachdenken auf, griff den Topf und sah seine Mutter strahlend an: „Ich bring Vater sein Essen nach, ich hohle ihn sicher gleiche ein.“
„Oh, du guter Junge.“
Bordje war den Weg in die Stadt bisher nie gegangen, doch die Abdrücke des Wagens auf den schmalen Pfad zeigten ihm die richtige Richtung. Anfangs noch im Spurt, nun eher gemütlich laufend folgte er vollkommen Barfuß den Spuren seines Vaters.
Ein wohlbekanntes kichern nährte sich mit dem Wind seinen Ohren, und erschrocken wand er sich um. Er blickte den langen weg zurück bis zu dem Haus seiner Eltern, das als kleiner Punkt unter der aufgehenden Sonne stand. Eine weiße Rauchwolke, ähnlich der Wolken über ihm, zog drüber auf.
Kaum aber folgte er wieder den Spuren seines Vaters, hörte er es wieder kichern. Diesmal lauter. Er konnte es sich nicht einbilden.

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